
Die Reform der Invalidenversicherung von 2022 sollte Vertrauen und Qualität in medizinische Gutachten stärken. Doch sie verfehlt ihr Ziel: Intransparenz, widersprüchliche Entscheide und alte Strukturen bestehen weiter.
Knapp eine halbe Million Menschen in der Schweiz beziehen IV-Leistungen. Grundlage jeder Entscheidung sind medizinische Gutachten – deren Qualität steht seit Jahren in der Kritik. Besonders die Gutachterstelle Pmeda geriet in den Fokus, weil ihre Ärzte auffallend viele Betroffene für gesund erklärten. Zwar beendete das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) 2023 die Zusammenarbeit mit Pmeda wegen gravierender formaler und inhaltlicher Mängel, doch viele ihrer Ärzte arbeiten heute unter neuen Namen weiterhin in der gutachterlichen Tätigkeit.
Die Reform von 2022 versprach Verbesserungen: Zufallsprinzip bei der Vergabe der Gutachten, Tonaufnahmen der Gespräche und eine eidgenössische Kommission zur Qualitätssicherung (EKQMB). Doch Anwälte und Mediziner kritisieren, dass sich faktisch nichts geändert habe. Laut Rechtsanwalt Marco Unternährer lebt der Geist der Pmeda ungehindert weiter. Auch Gerichte rollen alte Urteile nicht neu auf, selbst wenn sie auf mangelhaften Gutachten beruhen.
Zwischen BSV und EKQMB herrscht zudem Kompetenzwirrwarr: Während das Bundesamt die Durchsetzungskompetenz beansprucht, erklärt EKQMB-Präsident Michael Liebrenz, seine Kommission könne nur Empfehlungen aussprechen, aber keine Sanktionen verhängen.
Ein weiteres Problem offenbart die Statistik: Je nach Gutachterstelle unterscheiden sich die Chancen massiv. Während die Abklärungsstelle Asim Basel in 36 % der Fälle volle Erwerbsunfähigkeit attestierte, lag die Quote bei GA Eins Frick bei nur 3 %. Diese Unterschiede sind medizinisch nicht erklärbar und werfen laut Anwältin Tania Teixeira Fragen nach Fairness und Kostensteuerung auf.
Experten wie Rechtsanwalt Ueli Kieser kritisieren zudem das angebliche «Zufallsprinzip» als Etikettenschwindel: In Wahrheit handele es sich um ein Angebotsprinzip, abhängig von Kapazitäten und Ärztepools. Der frühere Medas-Chefarzt Jörg Jeger warnt vor falschen Anreizen durch Pauschalvergütungen und fordert eine unabhängige zentrale Stelle für medizinische Begutachtungen, um Qualität und Gerechtigkeit sicherzustellen.
Quelle: Plädoyer 5/2025, Gjon David